Forschungsinkubator: Zukunftsvisionen

Wie stellen sich Menschen die Verbindung von digitaler Transformation und Nachhaltigkeit in der Zukunft vor? In einem Forschungsprojekt gehen wir anhand von Zeichnungen der Frage auf den Grund.

In einer Welt, die von extremen Wetterereignissen und digitaler Vernetzung geprägt ist, wird nachhaltiges Leben immer wichtiger. Gleichzeitig hat die Digitalisierung tiefgreifende Auswirkungen auf die Umwelt. Studien betonen vor diesem Hintergrund die Notwendigkeit, digitale Transformation mit Nachhaltigkeitszielen zu verbinden.
Die Herausforderung liegt darin, die digitale Transformation so zu gestalten, dass sie mit ökologischen und sozialen Zielen im Einklang steht. Gleichzeitig müssen, um Akzeptanz und Innovation zu fördern, die Perspektiven der Menschen einbezogen werden. Bisher gibt es jedoch keine Forschung, die sich diesen Perspektiven auf digitale Transformation und Nachhaltigkeit widmet.
Wir fragen daher: Wie stellen sich Menschen die Verbindung von digitaler Transformation und Nachhaltigkeit in der Zukunft vor?
Wir beziehen uns mit dieser Frage auf Forschung zu sogenannten soziotechnischen Imaginaries. Laut Jasanoff (2015) werden diese definiert als “collectively held, institutionally stabilized, and publicly performed visions of desirable futures, animated by shared understandings of forms of social life and social order attainable through, and supportive of, advances in science and technology” (S. 6).
Unsere Forschung füllt eine Lücke, indem sie differenzierte Einblicke in Visionen einer Zukunft bietet, in der die digitale Transformation mit nachhaltiger Entwicklung verknüpft ist.
Die Visualisierung des gesamten Themenfindungsprozesses finden Sie in diesem Video.
Wie haben wir geforscht?
Im Sommer 2023 haben wir Menschen während eines Musikfestivals gebeten, ihre Visionen für die Zukunft zu zeichnen. Die Studie wurde als offener Workshop organisiert. Jede:r Teilnehmende erhielt ein leeres A3-Blatt mit einem Fragebogen auf der Rückseite sowie verschiedene Zeichenmaterialien wie Kugelschreiber, Wasserfarben und Glitzerstifte. Diese visuelle Methode hilft, emotionale und symbolische Ebenen besser zu verstehen. Das Zeichnen fördert zudem die Auseinandersetzung mit eigenen Zukunftsbildern. So werden visuelle und emotionale Bedeutungsebenen sichtbar und analysierbar (Freeman & Mathison, 2009).
Insgesamt nahmen 109 Personen im Alter von 6 bis 42 Jahren (M=28,94, SD=5,27) an der Studie teil; 58 Personen identifizierten sich als weiblich, 42 als männlich und 6 als nicht-binär. Die resultierenden 109 Zeichnungen bilden die Grundlage für die Datenanalyse.
Abbildung 1. Einblick in das Workshop-Setting
Die Analyse der Zeichnungen erfolgte induktiv, wobei wir thematische Analysen durchführten, um wiederkehrende Themen, Symbole und Motive zu identifizieren. Wir betrachteten die visuellen Elemente der Zeichnungen und suchten nach Mustern, die auf gemeinsame Anliegen, Hoffnungen und Erwartungen hinweisen. Basierend darauf wurden sechs Zeichnungen ausgeschlossen, da sie sich nicht auf das Thema bezogen.
Abbildung 2 gibt einen Überblick über die resultierenden thematischen Cluster.
Abbildung 2. Überblick über die resultierenden Cluster und Subcluster. Überlappungen und Pfeile bedeuten inhaltliche oder symbolische Überschneidungen
Abstrakte und konkrete Darstellungen von Potentialen und Herausforderungen der digitalen Transformation
Die Zeichnungen reichen von abstrakten Darstellungen bis zu konkreten Illustrationen. Hauptthemen waren die Potenziale erneuerbarer Energien (siehe Abbildung 3) und Effizienzsteigerung durch Digitalisierung sowie die negativen Umweltfolgen durch Rohstoffverbrauch und Serverfarmen. Einige Bilder zeigten Vorteile der digitalen Verwaltung und Landwirtschaft, während andere den Verlust des Naturkontakts (siehe Abbildung 3) und die Abhängigkeit von digitalen Geräten betonten.
Abbildung 3. Eine Welt ohne Digitalisierung
Abbildung 4. Umweltfreundliches Verhalten gefördert durch Digitalisierung
Ein weiteres zentrales Thema war die soziale Struktur und die Rolle von Vernetzung und Kommunikation. Hier wurden Visionen einer nachhaltigeren digitalen Zukunft durch die Nutzung natürlicher Modelle und kollaborativer Netzwerke illustriert. Einige Teilnehmenden äußerten auch Bedenken hinsichtlich des Verlusts des Kontakts zur Natur und der zunehmenden Abhängigkeit von digitalen Geräten.
Unterschiedliche Zeichnungen spiegeln außerdem sowohl Utopien (siehe Abbildung 3) als auch Dystopien (siehe Abbildung 4) wider und laden dazu ein, über die Integration ethischer Überlegungen in die Entwicklung und den Einsatz digitaler Technologien nachzudenken.
Abbildung 5. Utopie: AI Buddha
Abbildung 6: Eine Welt kontrolliert von Satelliten von Elon Musk
Die Bedürfnisse von Menschen sollten berücksichtigt werden
Die in den Bildern dargestellten Imaginaries der Teilnehmenden sind reich an Darstellungen, wie sie sich die Integration von Technologie in den Alltag und die natürliche Umwelt vorstellen. Sie zeigen ein breites Spektrum an Erwartungen hinsichtlich der Rolle der Technologie in der Gesellschaft und spiegeln eine vielfältige Reihe von gesellschaftlichen Hoffnungen, Ängsten und kritischen Perspektiven wider.
Die Visionen betonen die Notwendigkeit eines ausgewogenen Ansatzes an die Vereinbarkeit von digitaler Transformation und ökologische Nachhaltigkeit, der individuelle Freiheiten wahrt und eine harmonische Beziehung zur Umwelt fördert.
Zukünftige Forschung und Politikgestaltung sollten die Perspektiven aller Menschen berücksichtigen, um digitale Technologien so zu entwickeln und einzusetzen, dass sie dem Wohlergehen der Gesellschaft und der Umwelt dienen. Unsere Erkenntnisse bieten wertvolle Einblicke in die Erwartungen der Gesellschaft an eine nachhaltige digitale Zukunft und helfen, widerstandsfähige Strategien für die kommenden Herausforderungen zu entwickeln.
Referenzen
Freeman, M., & Mathison, S. (2009). Researching Children’s Experiences. Guilford Publications.
Jasanoff, S. (2015). Future Imperfect: Science, Technology, and the Imaginations of Modernity. In S. Jasanoff & S.-H. Kim (Eds.), Dreamscapes of Modernity: Sociotechnical Imaginaries and the Fabrication of Power (p. 0). University of Chicago Press. https://doi.org/10.7208/chicago/9780226276663.003.0001