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Vortrag Zur normativen Spezifizität konsultativer Bürger:innenbeteiligung

Vortrag von Jonathan Seim zur 9. Tagung für Praktische Philosophie

Am 29. und 30.09.2022 findet die 9. Tagung für Praktische Philosophie statt. Hierfür hält Jonathan Seim einen Vortrag zum Thema: „Zur normativen Spezifizität konsultativer Bürger:innenbeteiligung“. Inhaltliches Der normative Status konsultativer […]

16. September 2022

Am 29. und 30.09.2022 findet die 9. Tagung für Praktische Philosophie statt. Hierfür hält Jonathan Seim einen Vortrag zum Thema: „Zur normativen Spezifizität konsultativer Bürger:innenbeteiligung“.

Inhaltliches

Der normative Status konsultativer Bürger:innenbeteiligungsverfahren innerhalb des Prozesses politischer Entscheidungsfindung ist nicht ausreichend theoretisiert. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Ergebnisse öffentlicher Konsultationen die gewählten Entscheidungsträger:innen nicht formal binden und letztere somit formal auch gegenteilig entscheiden können. Ob und inwieweit Repräsentant:innen trotz formaler Unverbindlichkeit dennoch politisch an die Ergebnisse gebunden sein sollten, ist unklar. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich daher mit der Frage, ob und inwieweit die Ergebnisse formal unverbindlicher Beteiligungsverfahren umgesetzt werden sollten. Im Zuge der Beantwortung dieser Frage arbeitet der Beitrag die normative Spezifizität konsultativer Beteiligungsverfahren heraus, welche diese von Instrumenten der direkten Demokratie einerseits und informellen öffentlichen Diskursen andererseits unterscheidet.

Um diese Frage adäquat zu beantworten, geht der Beitrag von einem systemischen Verständnis politischer Willensbildung aus. Jede Theorie politischer Legitimität enthält normative Kriterien, anhand derer die Legitimität politischer Entscheidungsfindung beurteilt werden kann. Die Grundthesen des vorgeschlagenen systemischen Ansatzes lauten, dass erstens kein einzelnes Verfahren politischer Willensbildung, egal welche Theorie politischer Legitimität und somit welche Legitimitätskriterien angenommen werden, alle Kriterien vollumfänglich erfüllen kann. Zweitens wird angenommen, dass verschiedene Verfahren über verschiedene Stärken und Schwächen verfügen, weshalb eine intelligente Kombination verschiedener Verfahren die jeweils vorgeschlagenen Kriterien politischer Legitimität oftmals besser erfüllt als einzelne Verfahren. Drittens ist eine abschließende Einschätzung der Stärken und Schwächen einzelner Verfahren nur durch eine komparative und kontextsensitive Analyse verschiedener Verfahren möglich.

Dies gilt auch im Kontext konsultativer Bürger:innenbeteiligungsverfahren. Anhand der Kriterien der Repräsentativität und der Informiertheit kann beispielhaft gezeigt werden, dass weder die Willensbildung konsultativer Beteiligungsverfahren noch die repräsentativer Organe Legitimitätskriterien vollumfänglich erfüllen können. Darüber hinaus lässt sich durch einen Vergleich beider Formen der Willensbildung feststellen, dass sie über jeweils verschiedene Schwächen und Stärken verfügen. Eine intelligente Kombination beider Verfahren hat somit das Potenzial, eine insgesamt repräsentativere und informiertere Beteiligung zu verwirklichen.

Vor diesem Hintergrund lassen sich für die Frage, inwieweit die Ergebnisse unverbindlicher Beteiligungsverfahren umgesetzt werden sollten, zwei Punkte festhalten. Einerseits können die Stärken konsultativer Beteiligung eine gewisse politische Verbindlichkeit der Ergebnisse begründen. Andererseits können ihre Schwächen Abweichungen von den Ergebnissen rechtfertigen. Konsultative Beteiligungsverfahren eröffnen also in der Regel die Möglichkeit, die Präferenzen der Bürgerinnen und Bürger auf eine solche Art und Weise in den Willensbildungs- und Entscheidungsprozess repräsentativer Organe zu integrieren, die zwar recht effektiv ist, letztere aber dennoch nicht vollständig bindet. Diese Feststellung macht die normative Spezifizität öffentlicher Konsultation im Vergleich zu informellen öffentlichen Diskursen einerseits und Instrumenten der direkten Demokratie andererseits aus.

Dieser Befund hat auch Auswirkungen auf die interne Gestaltung von konsultativen Beteiligungsverfahren und kann mitunter die Notwendigkeit einer unterschiedlichen Ausgestaltung von verbindlichen und unverbindlichen Verfahren begründen. So ist anzunehmen, dass die Frage nach der legitimen Zusammensetzung des Demos jeweils unterschiedlich beantwortet werden muss. Beispielsweise könnte der Befund die Annahme plausibilisieren, dass einige Personen zwar über ein Teilhaberecht an Konsultationsverfahren, aber nicht an verbindlichen Entscheidungsverfahren verfügen sollten.